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Verwaltungsgericht verpflichtet BVL zur Erteilung der Zulassung über den 1. Januar 2020 hinaus und nimmt Stellung zu Biodiversitäts-Anwendungsbestimmungen

Am 4. September 2019 fand vor der 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig ein Musterverfahren statt. Dazu wurden zwei Klageverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) miteinander verbunden. Das Gericht äußerte sich in der mündlichen Verhandlung erstmals zu der Frage, ob das BVL die von den Antragstellerinnen begehrte pflanzenschutzrechtliche Zulassungen abweichend von seiner bisherigen Verwaltungspraxis aufgrund der vom Umweltbundesamt (UBA) vorgeschlagenen Biodiversitäts-Anwendungsbestimmungen zeitlich auf den 31. Dezember 2019 beschränken durfte. Die Kammer nahm dazu Stellung, ob in dem Zulassungsbescheid eine Nebenbestimmung aufgenommen werden darf, die den Anwender von Pflanzenschutzmitteln u. a. aufgibt, mindestens 10 % seiner landwirtschaftlichen Gesamtfläche als Biodiversitätsausgleichfläche vorzuhalten.

In den Urteilen vom 4. September 2019 verpflichtete die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig die beklagte Bundesrepublik Deutschland zur Erteilung der Zulassung über den 1. Januar 2020 hinaus. Die Kammer bestätigte, dass dem Antragsteller ein Anspruch gegen das BVL auf Erteilung der Zulassung über den 1. Januar 2020 hinaus zusteht. Die Kammer führte aus, dass es für eine Nebenbestimmung in einer pflanzenschutzrechtlichen Zulassung, welche Anwendungsbestimmungen zum Schutz der Biodiversität als Kompensationsmaßname vorsehe keine Rechtsgrundlage gibt. Eine ausreichende Rechtsgrundlage hierfür gebe es weder in der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 noch im nationalen Pflanzenschutzrecht.

Hintergrund des Rechtsstreits vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig war die Weigerung des UBA, das Einvernehmen zu der Zulassung für das streitgegenständliche Pflanzenschutzmittel vorbehaltlos zu erteilen. Das UBA erteilte das Einvernehmen unter der Voraussetzung, dass das BVL in dem Zulassungsbescheid die Anwendungsbestimmungen Biodiv1, Biodiv2 und NTneu aufnimmt. Die Anwendungsbestimmungen zum Schutz der Biodiversität sollten nach dem UBA ab dem 1. Januar 2020 in Kraft treten. Mit der Aufnahme der Anwendungsbestimmungen zum Schutz der Biodiversität in den Zulassungsbescheid verfolgte das UBA das Ziel, die Biodiversität und die Artenvielfalt in der deutschen Agrarlandschaft zu stärken. Das BVL war jedoch im Gegensatz zu dem UBA der Auffassung, dass die Aufnahme der Anwendungsbestimmungen zum Schutz der Biodiversität in den Zulassungsbescheid rechtswidrig ist. In der Folge erteilte das BVL die Zulassung ohne die Biodiversitäts-Anwendungsbestimmungen, allerdings unter Beschränkung der Zulassungsdauer auf den 31. Dezember 2019. Das BVL verkürzte den Zulassungszeitraum abweichend von seiner bisherigen Verwaltungspraxis. Es entsprach bislang der ständigen Verwaltungspraxis des BVL, die Zulassung grundsätzlich für die Dauer von einem Jahr ab Ende der Wirkstoffgenehmigung zu erteilen.

Gegen die Verkürzung der Zulassungsdauer erhob die Antragstellerin Klage vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig. Das Gericht gab der Klage vollumfänglich statt.

In der Urteilsbegründung führte die Kammer aus, dass die Voraussetzungen für die Zulassungserteilung für das streitgegenständliche Pflanzenschutzmittel vorliegen. Bei der Zulassungserteilung können Auswirkungen des Pflanzenschutzmittels auf die biologische Vielfalt und das Ökosystem nur berücksichtigt werden, soweit hierfür von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) anerkannte wissenschaftliche Methoden zur Bewertung erarbeitet wurden. Bislang gebe es jedoch seitens der EFSA keine wissenschaftlichen Methoden zur Bewertung der Effekte von Pflanzenschutzmitteln auf die Biodiversität. Die nationalen Zulassungsbehörden können diesbezüglich keine eigenen Bewertungsmethoden einführen, da von der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 insoweit eine Sperrwirkung ausgeht. Dies folgt aus der Harmonisierung des pflanzenschutzrechtlichen Zulassungsverfahrens.

Die Kammer führte weiterhin aus, dass es für die Aufnahme der Biodiversitäts-Anwendungsbestimmungen in den Zulassungsbescheid weder in der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 noch im nationalen Pflanzenschutzrecht eine hinreichende Rechtsgrundlage existiert. Die Biodiversitäts-Anwendungsbestimmungen seien Kompensationsmaßnahmen. Für die Anordnung einer Kompensationsmaßnahme fehle es an einer rechtlichen Grundlage in der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009.

Gegen die Urteile können die Beteiligten beim OVG Lüneburg die Zulassung der Berufung beantragen.

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